Mein Blog

Lass Dich inspirieren

‹ zurück

Resilienz in der Trauer – oder, wie ich durch Verlusterfahrungen stark werden kann

Das Wort Resilienz ist in aller Munde. Doch, was bedeutet eigentlich Resilienz und weshalb ist Resilienz ein entscheidender Faktor auf dem Weg der Trauer?

 

Resi­li­enz, auch als Wider­stands­fä­hig­keit bezeich­net, ist die Fähig­keit, sich von schwie­ri­gen Lebens­si­tua­tio­nen zu erho­len und sich an Her­aus­for­de­run­gen anzu­pas­sen. Die­ser Defi­ni­ti­on fol­gend ist Resi­li­enz eine ent­schei­den­de Kraft, um Trau­er zu ver­ar­bei­ten. Die Fra­ge, die mir ein­mal ein Jour­na­list in einem Inter­view stell­te, lie­fert ent­schei­den­de Hin­weis auf das Zusam­men­wir­ken von Resi­li­enz und Trau­er; er frag­te mich:

„Kann man sich auf Trau­er vorbereiten?“

Mei­ne Ant­wort war sinn­ge­mäß, dass die Fähig­keit zu trau­ern kohä­rent zur eige­nen Resi­li­enz­fä­hig­keit ein­zu­ord­nen ist. In ein­fa­che­ren Wor­ten ausgedrückt:

Je bewuss­ter ich mir mei­ner eige­nen Selbst und mei­ner Bedürf­nis­se bin, je kla­rer ich mir mei­ner Gefühls­welt bin, des­to stär­ker bin ich in mei­ner Per­sön­lich­keit. Die­se Stär­ke der eige­nen Per­sön­lich­keit unter­stützt und trägt uns in schwie­ri­gen Lebens­si­tua­tio­nen, wie bei­spiels­wei­se der Seins­zu­stand der Trauer.

Auch in ein­fa­chen Wor­ten aus­ge­drückt, tau­chen in der Erklä­rung doch eini­ge Begriff­lich­kei­ten auf, die näher betrach­tet wer­den dürfen:

 

  • Bewusst­sein
  • Das eige­ne Selbst
  • Per­sön­lich­keit
  • Gefüh­le und Emotionen

 

Unser Bewusstsein und das eigene Selbst

Wenn vom Bewusst­sein die Rede ist, so ist damit ein kom­ple­xes und viel­schich­ti­ges Kon­zept gemeint, das als Fähig­keit beschrie­ben wer­den kann, sich sei­nes Selbst und der Umge­bung bewusst zu sein. In mei­ner Arbeit bezeich­ne ich ein bewuss­tes Sein auch ger­ne als die Fähig­keit eige­ne Gefüh­le wahr­zu­neh­men und sie auch aus­drü­cken zu kön­nen. Wie oft sagen mir Klient*innen, dass sie kei­ne Wor­te für ihren Zustand fin­den kön­nen. Bewusst­sein erschafft Leben­dig­keit, denn das bewuss­te Sein ist im Jetzt ver­an­kert und tief mit ihm ver­bun­den. Als Bei­spiel möch­te ich an die­ser Stel­le eine All­tags­si­tua­ti­on erwäh­nen, die für ein unbe­wuss­tes Sein steht:

 

Kennst Du sol­che Momen­te, in denen Du neben­bei etwas isst, weil Du kei­ne Zeit hast, Dich in Ruhe hin­zu­set­zen? Im Anschluss an das Essen ist Dein Magen zwar gefüllt, Du fühlst Dich aber inner­lich ein Stück weit gestresst und weißt anschlie­ßend gar nicht so genau, was und wie­viel Du geges­sen hast, weil Du total unbe­wusst und neben­bei etwas zu essen zu Dir genom­men hast. Sol­che Momen­te sind an für sich Gift für unse­re See­le, da wir nicht prä­sent im Moment sind; wir sen­ken unse­re Wahr­neh­mung, um gleich­zei­tig Pflicht und Not­wen­dig­keit zu erfül­len, ver­ges­sen dabei aber völ­lig uns selbst und eine bewuss­te Wahrnehmung.

Ein bewuss­tes Sein geht also immer mit einer kla­ren und fokus­sier­ten Wahr­neh­mung ein­her. Um dies noch ein wenig genau­er zu betrach­ten, lohnt sich ein Blick auf die Defi­ni­ti­on von Carl Gus­tav Jung des Bewusstseins.

Definition von Bewusstsein nach C.G. Jung [1]

Carl Gus­tav Jung defi­nier­te Bewusst­sein als den Teil der Psy­che, der sich mit der Wahr­neh­mung und dem Erle­ben der eige­nen Gedan­ken und Gefüh­le beschäf­tigt. Es umfasst das, was wir aktiv erle­ben und erken­nen, im Gegen­satz zu den unbe­wuss­ten Inhal­ten, die nicht direkt im Fokus unse­res Bewusst­seins ste­hen. Jung sah das Bewusst­sein als einen dyna­mi­schen Pro­zess, der sich stän­dig ver­än­dert und ent­wi­ckelt, wäh­rend wir neue Erfah­run­gen machen und uns mit unse­rem inne­ren Selbst auseinandersetzen.

 

Bewusst zu leben, bedeu­tet in dem Fall, sich den Raum und die Zeit zu geben, zu spü­ren und zu füh­len, wahr­zu­neh­men und den eige­nen Gedan­ken frei­en Lauf zu las­sen. Was damit gemeint ist, fin­det sich in vie­len über­lie­fer­ten Tra­di­tio­nen wie­der, so frag­te ein Zen-Schü­ler eines Tages sei­nen Meister:

„Was unter­schei­det den Zen-Meis­ter von einem Zen-Schü­ler?“ Und der Zen-Meis­ter ant­wor­tet: „Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich. Wenn ich schla­fe, dann schla­fe ich.“

Die Kunst des bewuss­ten Seins ist dem­nach die unbe­ding­te Fähig­keit im Jetzt zu sein. Und genau die­se Fähig­keit kann ele­men­tar unter­stüt­zen den eige­nen Trau­er­weg zu gehen. Es geht hier­bei dar­um dem eige­nen Ich zu begeg­nen und in die­ser Begeg­nung, Acht­sam­keit und Ruhe zu fin­den. In der Wahr­neh­mung des eige­nen Selbst, erfah­ren wir den heil­sa­men Augen­blick des Jetzt. Car Gus­tav Jung beschrieb das Bewusst­sein als einen dyna­mi­schen Pro­zess, der kon­gru­ent zu unse­rer Ent­wick­lung ver­läuft. Genau hier­in liegt die Chan­ce für den eige­nen Trauerweg:

Du kannst etwas tun, um bewuss­ter zu wer­den. Du kannst ler­nen bewusst zu wer­den, um Dich mit Dir selbst und Dei­nem Sein zu ver­bin­den. Der Welt Dein Ich zu zeigen.

 

Persönlichkeit, Gefühle und Emotionen

Das Selbst ist ein Teil des Unbe­wuss­ten wie Bewuss­ten, es kre­iert unse­re Per­sön­lich­keit, unse­re Per­sön­lich­keit ist unser ICH – jenes Ich mit dem wir uns der Welt zei­gen und wir uns selbst, wie auch uns ande­re wahr­neh­men. Emo­tio­nen sind oft Teil des Unbe­wuss­ten und ver­lei­ten uns zu Hand­lun­gen, die impuls­ar­tig und wenig bedacht erfol­gen. Oft haben die eigent­li­chen Hand­lun­gen nichts mit der kon­kre­ten Situa­ti­on zu tun. Wir wer­den so oft von unse­rem Unter­be­wusst­sein diri­giert, ohne hier­auf bewusst Ein­fluss neh­men zu kön­nen. Unser Selbst ist in die­sen Momen­ten dem Unter­be­wusst­sein aus­ge­lie­fert, wir lau­fen auf Auto­pi­lot ohne direk­te Steuerung.

Letzt­lich geht es im Trau­er­pro­zess dar­um das Steu­er zu über­neh­men, wie­der Sicher­heit und Halt in einem Leben zu fin­den, das mit der Erfah­rung eines Ver­lus­tes aus den so genann­ten Fugen gera­ten ist. In einer genaue­ren Betrach­tungs­wei­se der oben erwähn­ten Begriff­lich­kei­ten, kris­tal­li­siert sich eine heil­sa­me Sicht­wei­se heraus:

Sicher­heit erlan­gen wir nicht durch Wis­sen, son­dern durch Füh­len. Sta­bi­li­tät nicht durch Schnel­lig­keit, son­dern Tie­fe. Tie­fe wie­der­um ent­steht durch Bewusst­sein, durch ein bewuss­tes Sein. 

 

[1] Vgl. Carl Gus­tav Jung, Von den Wur­zeln des Bewusst­seins; Stu­di­en über den Arche­ty­pus, 1954

“Trauer ist ein Gesundungsprozess, der uns den Weg zurück ins Leben weist.”

San­dra Stelzner-Mürköster

Was kannst Du konkret tun, um Bewusstsein zu erlangen?

Tipps und Anregungen

 

1. Acht­sam­keit üben: Acht­sam­keit bedeu­tet, im gegen­wär­ti­gen Moment prä­sent zu sein und sich sei­ner Gedan­ken, Gefüh­le und Umge­bung bewusst zu sein. Dies kann durch Medi­ta­ti­on, Atem­übun­gen oder ein­fach durch bewuss­tes Erle­ben des All­tags erreicht werden.

2. Selbst­re­fle­xi­on: Neh­me Dir regel­mä­ßig Zeit, um über Dei­ne Gedan­ken, Gefüh­le und Hand­lun­gen nach­zu­den­ken. Fra­ge Dich, war­um Du auf eine bestimm­te Wei­se reagiert hast in mar­kan­ten Situa­tio­nen des Tages, und wor­über Du dank­bar bist an jedem ein­zel­nen Tag.

3. Offen­heit für neue Erfah­run­gen: Sei bereit, neue Din­ge aus­zu­pro­bie­ren und aus Dei­ner Kom­fort­zo­ne her­aus­zu­tre­ten. Dies kann hel­fen, Dein Bewusst­sein zu erwei­tern und neue Per­spek­ti­ven zu gewin­nen. Das kön­nen klei­ne Din­ge wie das Auf­su­chen eines neu­en Bäckers sein, wie grö­ße­re, so zum Bei­spiel die Pla­nung einer Rei­se in ein unbe­kann­tes Land.

 

 

 

4. Lesen und Ler­nen: Bil­de Dich wei­ter, indem Du Bücher, Arti­kel liest und ande­re Medi­en nutzt zu ver­schie­de­nen The­men. Wis­sen erwei­tert das Bewusst­sein und hilft, die Welt bes­ser zu verstehen.

5. Gesprä­che füh­ren: Tau­sche Dich mit ande­ren Men­schen aus, indem Du aktiv zuhörst und lernst Dich emo­tio­nal zu äußern. Unter­schied­li­che Mei­nun­gen und Erfah­run­gen kön­nen das eige­ne Bewusst­sein bereichern.

6. Kör­per­be­wusst­sein ent­wi­ckeln: Ach­te auf die Signa­le Ihres Kör­pers und pfle­ge eine gesun­de Lebens­wei­se. Bewe­gung, Ernäh­rung und aus­rei­chend Schlaf sind wich­tig für ein ganz­heit­li­ches Bewusstsein.

7. Emo­tio­na­le Intel­li­genz: Arbei­te dar­an, Dei­ne eige­nen Gefüh­le zu ver­ste­hen und zu regu­lie­ren, sowie die Gefüh­le ande­rer zu erken­nen und ange­mes­sen dar­auf zu reagieren.

8. Zie­le set­zen: Set­ze Dir kla­re und erreich­ba­re Zie­le, die Dir hel­fen, Dich wei­ter­zu­ent­wi­ckeln und die Wahr­neh­mung zu schärfen.

Den­ken, Füh­len und Han­deln gehen in bewuss­ten Momen­ten des Lebens dem­entspre­chend Hand in Hand.

 

Abschließende Überlegungen

Die in die­sem Text “Resi­li­enz im Trau­er­pro­zess” vor­zu­fin­den­den Gedan­ken beto­nen die Bedeu­tung von Resi­li­enz, auch als Wider­stands­fä­hig­keit bezeich­net, im Umgang mit Trau­er. Resi­li­enz ist die Fähig­keit, sich von schwie­ri­gen Lebens­si­tua­tio­nen zu erho­len und sich an Her­aus­for­de­run­gen anzu­pas­sen; ent­schei­dend für den Grad der Resi­li­enz ist der Grad des eige­nen Bewusst­seins. Ein bewuss­tes Sein und die Wahr­neh­mung der eige­nen Gefüh­le und Bedürf­nis­se sind dem­entspre­chend ent­schei­dend, um Trau­er zu ver­ar­bei­ten und Sicher­heit sowie Halt in einem Leben zu fin­den, das durch den Ver­lust aus den Fugen gera­ten ist. Ein bewuss­tes Leben im Jetzt för­dert Acht­sam­keit und Ruhe im Umgang mit Trau­er. Letzt­lich geht es dar­um, Sicher­heit und Sta­bi­li­tät durch Füh­len und Bewusst­sein zu erlangen.

Trauer ist Ausdruck tiefer Verbundenheit.

Trauer ist Ausdruck von Liebe.

Trauer ist so einzigartig, wie Du es bist.

Trauer wird ein Teil von uns, mit dem wir lernen dürfen zu leben.

Trauer trägt eine Botschaft in sich, die darauf wartet entschlüsselt zu werden.